Die Kamerahauptstadt Europas

Nun also „Je suis London“ – oder? Herrgott, bitte nicht! Wenn Islamisten vollbesetzte russische Verkehrsmaschinen vom Himmel blasen kräht kein Hahn danach – aber kaum erwischt es mal ein paar Europäer, ist der Weltfrieden in Gefahr. Mehr Pharisäertum geht kaum, aber keiner merkt es.

Darum soll es jetzt aber gar nicht gehen. Dieses mal war London dran. Was diese Tatsache so interessant macht, ist der Umstand, dass London die Kamerahauptstadt Europas ist. An jeder Ecke wird man hier beobachtet. In der U-Bahn, auf öffentlichen Plätzen, an und in Kaufhäusern – selbst in Gegenden mit hohem Anteil an Sozialwohnungen wird die Videoüberwachung flächendeckend angelegt. Der Verband der britischen Sicherheitsindustrie schätzte die Anzahl der Kameras 2013 auf ca. vier bis sechs Millionen. Holy shit!

Das ist insofern interessant, dass es hier haufenweise Experten gibt, die immer noch predigen Kameraüberwachung sei das Allheilmittel gegen Terrorismus. „Anschläge können so verhindert werden“, argumentieren die Befürworter geistlos vor sich hin. Die einzige Schlussfolgerung, die das zulässt, ist eine über den Geisteszustand dieser Spezialisten. Aber wieso eigentlich?

Nun, erstens gibt es da mal das Problem, dass Anschläge in der Regel ohne Vorzeichen geschehen. Sollte es sich bei der gewünschten Überwachungsausrüstung um die herkömmlichen Geräte handeln, ohne Glaskugel-Plugin (Das je nach Qualität mehrere Tage in die Zukunft sehen kann), dann kann uns die Kamera leider nur zeigen, was bereits passiert ist. Mir ist nicht bekannt, dass sich die Eingriffsmethoden der Polizei inzwischen so stark verbessert hätten um rückwirkende Maßnahmen zu treffen (Oh, der Bursche hat dem Polizisten da gerade ein Messer reingedrückt! Ruf mal in der Zentrale an, die sollen ihn gestern mittag festnehmen!) …also ich sehe da eine Schwäche in der Argumentation.

Zweitens kommt hinzu, dass es nicht damit getan ist, einfach zu überwachen. Diese Daten müssen auch ausgewertet werden. So eine Kamera läuft 24/7, ununterbrochen. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass ein Auswerter so ca. fünf Kameras sinnvoll betreuen kann. Wieso nur fünf? Gut, dass du fragst! Eigentlich schafft er vielleicht sogar fünfzehn… aber nur für acht Stunden, dann kommt die nächste Schicht. Macht also einen Mann für fünf Kameras. Ja… ja aber das kann man doch aufzeichnen für später! Ja, sicher. Und was macht man dann damit? Und wie spät ist „später“? Es ist nicht damit getan, Daten zu sammeln. Man muss sie auch auswerten, wenn man damit Anschläge verhindern will. Nehmen wir das Beispiel London wären für die Auswertung also ca. eine Million Arbeitsstellen notwendig. Merkst jetzt selber, ne?

Diese Zahl kann man durch elektronische Hilfsmittel wie Gesichtserkennung natürlich noch senken, doch damit macht man das nächste Fass auf. Um eine wirkungsvolle elektronische Erkennung zu ermöglichen, müssen Kameras sehr hoch auflösen oder sehr nah an der Person stationiert sein. Es wird also eine Datenschwemme hochauflösender, bewegter Bilder erzeugt. Jeder Bürger erzeugt Spuren von dem Augenblick an, in dem er das Haus verlässt – wenn er Glück hat. Wer weiß schon, ob nicht von irgendwoher eine hochauflösende Kamera mit gutem Objektiv ins Wohn- oder Schlafzimmer blickt? Mir ist nicht ganz klar, ob den Überwachungsbefürwortern klar ist, was sie da wollen. Vielleicht sollten wir alle ab und zu mal das Thermometer checken.

…oder einfach mal nach London schauen, was der ganze Wahnsinn so gebracht hat.

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